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Ein Gespräch mit der Schwester von Jonny K.

Hinzugefügt 12 August von IAmJonnyIn News Archiv9 Kommentare

BERLIN – Die persönliche Stunde Null schlägt für Tina K. am 14. Oktober 2012, als ihr Bruder unter den Tritten und Schlägen von sechs Angreifern so schwer verletzt wird, dass er tags darauf an einer Hirnblutung stirbt. Selten kommt es vor, dass ein Mensch Berühmtheit erlangt, ohne dass man seinen vollständigen Namen kennt. Aber Tina K. ist das widerfahren. Ihr Bruder Jonny wäre heute 21 Jahre alt. Er hätte jetzt fast schon seine Fachhochschulreife in der Tasche. Womöglich schon einen Studienplatz.

Es ist einer dieser schwülen Hundstage des Sommers 2013. Irgendwo im südlichen Berlin biegt Tina K. jetzt um die Ecke. Sie trägt ein langes blaues Sommerkleid. Die feinen Züge ihres Gesichts sind ernst. Sie hellen sich erst auf, als sie Freunde vor einem vietnamesischen Restaurant begrüßt. Dann nimmt sie Platz an einem der Tischchen, die hier überall an der Straße stehen, bestellt grünen Tee mit Orangen, Minze und Eiswürfeln. Eine attraktive Frau, die ein ausgesuchtes Deutsch spricht. So gut, dass sie die Medien bis heute gerne als Musterbeispiel für gelungene Integration in Talkshows einladen.

Die Augen der Angeklagten

„Heute haben sie einen Zeugen der Verteidigung vernommen, der gesehen haben will, wie viel die Angeklagten getrunken haben“, sagt Tina und schüttelt den Kopf. Da alle Verdächtigen nach der Tat geflüchtet waren, gibt es keine verlässlichen Informationen über deren Alkoholisierung. „Aber zählst Du mit, wie viel Deine Freunde trinken, wenn ihr feiert? Und erinnerst Du Dich dann nach zehn Monaten noch?“ Mühsam sei es, erleben zu müssen, wie die sechs Angeklagten vor Gericht versuchten, den Hals aus der Schlinge zu ziehen.
Vor zwei Stunden saß Tina K. noch im Saal 700 des Kriminalgerichts in Moabit. Und wieder hat sie in die Augen der Angeklagten geschaut. Hat versucht, hinter diese Augen zu blicken. Hinter die Fassade von ganz normal aussehenden jungen Männern. Türkisch-deutsche Jungen, wie es so viele gibt in Berlin. Und von denen sich die große Mehrheit nichts zuschulden kommen lässt. „Heute haben zwei der Angeklagten während der Verhandlung einen Lachanfall bekommen.“ Das Feixen und Kichern klinge ihr noch in den Ohren, sagt Tina und die milde Gelassenheit in ihrem Gesicht weicht einem harten Ausdruck. Die Respektlosigkeit, die sie aus dem Verhalten der jungen Männer liest, schmerzt sie. „Immer wenn es schlimm wird, wenn die Wut hochkocht, male ich mir ein Herz auf den Handrücken. Darauf schaue ich dann. Das beruhigt mich. Das Symbol der Liebe. Nichts ist stärker als Liebe.“ Heute hat Tina K. ein solches Herz aufmalen müssen. Es ziert noch ihre rechte Hand.

Der Schock trifft die Familie

Es war Prozesstag Nummer elf oder zwölf. Tina weiß es nicht mehr so genau. Seit die Strafsache am 13. Mai eröffnet worden ist, gehört der Besuch des Gerichts zum Alltag der 28-Jährigen. „Das, was ich tue, ist jetzt mein Leben. Ich habe mir diese Aufgabe nicht ausgesucht. Sie ist mir gegeben worden.“ Aber dass sie irgendjemand übernehmen musste, das steht für Tina außer Frage. Als Tochter einer thailändischen Mutter und eines deutschen Vaters wächst sie in einem bürgerlichen Stadtteil Berlins auf. Durch den labilen Gesundheitszustand des Vaters übernimmt sie früh Verantwortung für die jüngeren Geschwister Jonny und Jenny. „Mein Vater ist Fan von Tina Turner und Johnny Cash. Das erklärt unsere Namen.“

Als die Katastrophe dann über die Familie hereinbricht, reagieren alle Mitglieder anders. Die kleine Schwester zieht sich zurück, die Eltern verharren im Schock. Nur Tina geht bald nach der ersten Welle überwältigender Trauer in die Offensive. Stellt sich den Medien, gibt dem Unfassbaren ein Gesicht und eine laute Stimme. Gründet den Verein „I Am Jonny“, der die Erinnerung an den Jungen wachhält, aber viel wichtiger noch, Aufklärungsplattform sein will, Mahnmal gegen die Gewalt und Treibhaus für Toleranz und Zivilcourage. In ihren Vorträgen an Schulen macht sie Kindern das abstrakte Bild dieser blutigen Gewalttat real erfassbar, wenn auch nicht begreifbar. „Ich weiß, es gibt dafür letztendlich keine Erklärung.“

„Ich bin ein ganz normaler Mensch.“

Die bis jetzt größte Anerkennung für das Engagement von Tina K. ist der Gewinn des Medienpreises Bambi. Aber nicht jeder findet gut, was Tina da macht. „Es gibt Leute, die glauben, ich bin zu viel in den Medien. Und es gibt Eltern, denen Ähnliches widerfahren ist und die fragen, warum bekommt Jonny so viel Aufmerksamkeit?“ Die Antwort darauf ist einfach: Nicht jeder hat die Kraft, den Mut oder die Hoffnung, sich in die erste Reihe für eine Sache zu stellen, für die es in Deutschland dauerhaft womöglich keinen Blumentopf zu gewinnen gibt. Gerade wenn Trauer und Ohnmacht das Leben manchmal über Jahre lähmen. Aber warum also sie? „Ich will auch mal Kinder haben. Aber ich will, dass sie in einer Welt aufwachsen können, wo sie keine Angst haben müssen, totgeschlagen zu werden. Das lass ich nicht zu, dass meine Kinder in so einer Welt leben müssen. Das garantiere ich.“ Es sind Sätze wie dieser, für die Tina K. einerseits bewundert wird, weil die kleine Frau über sich und alle widrigen Umstände hinauswächst. Weil sie in ihrer Trauer ein so hohes Maß an Hoffnung ausstrahlt. So groß, dass sich in diese positive Aura gerne auch Politiker stellen und Prominente. Vor allem aber auch die vielen stillen Unterstützer, die das improvisierte Mahnmal am Alexanderplatz bis heute täglich mit frischen Blumen und Kerzen am Leben erhalten. Aber es gibt auch die böswilligen, zynischen Menschen, die Fragen: Wer glaubt diese Frau zu sein, dass sie sich einbildet, die Welt verändern zu können? „Ich bin ein ganz normaler Mensch“, lautet ihre Antwort. Und gerade das gibt ihr diese Hoffnung: Denn wirklich jeder könne etwas tun. Jeder ganz normale Mensch, nicht irgendwelche Helden. „Zivilcourage kann man lernen. Und muss man lernen.“

Das Herz auf der Hand

Jetzt ist es doch noch etwas kühler geworden in den Straßenschluchten Berlins. Ein leichter Wind haucht Tina K. das braune Haar um die Schultern. Sie legt ihre linke Hand auf den Tisch, ein Armband mit Herzen und Symbolen umschließt es. „Kurze Zeit, bevor die Katastrophe mit Jonny passiert ist, hat er es mir geschenkt. Einfach so, ohne besonderen Anlass.“ Ihr Gesicht nimmt einen zärtlichen Ausdruck an. Seit ihrer Stunde Null im Oktober hat sie es nicht mehr abgelegt. Es ist zum Symbol geworden für das unsichtbare Band zwischen ihr und ihm. Ein Band, so sagt sie, das stärker ist als der Tod.

Welches Urteil am Schluss des langen Gerichtsverfahrens Ende August stehen wird, das weiß Tina K. nicht. Für sie ist das auch nicht die entscheidende Frage. Die nämlich lautet: Warum geben die sechs Verdächtigen, die alle eingestehen, am Abend der Tat irgendwie beteiligt gewesen zu sein, nicht einfach die ganze Wahrheit zu? „Warum ist keiner Manns genug, zu sagen, wie es wirklich war?“, fragt Tina K.

Die monotone Entschuldigung, die am Anfang des Prozesses vom Blatt gelesen – „wie gelangweilt“ – von den Verdächtigen kam, zählt für Tina K. nicht. Nicht, solange sie Einsicht, Anteilnahme und Reue hinter den Augen der Männer auf der Anklagebank vermisst. Hoffnung darauf hat sie kaum noch. Trotzdem wird sie wieder ganz genau hinschauen und den Blick nicht abwenden. Und das Kichern und die Langeweile der sechs Angeklagten ertragen. Bis zum letzten Prozesstag. Und wenn es gar nicht anders geht, kurz bevor sie all das nicht mehr ertragen kann, wird sie wieder Herzen malen auf ihre Hand.

Schwäbische.de Gegen das Vergessen: Ein Gespräch mit der Schwester von Jonny K. Von Erich Nyffenegger

Kommentare (9)
  • avatar
    Joanna
    Aug 13 2013, 6:46 PM Antworten

    Zunächst einmal möchte ich der Familie und den Freunden des Jonny mein tiefstes Mitgefühl sowie meine Betroffenheit aussprechen. Möge Jonny in ewigem Frieden ruhen- für immer unvergessen, für immer in unseren Herzen.

    Den “Jonny K. – Prozess” wollte ich seit dem ersten Prozesstag am 13. Mai 2013 verfolgen. Obwohl ich sehr früh an der Seitenpforte des Berliner Kriminalgerichts erschien hatte ich keinerlei Chance hineinzugelangen.
    Zu groß war der Andrang. Vor allem derjenige der Angehörigen der sechs Beschuldigten.
    Schon damals schockte mich das Verhalten vieler von ihnen. Als wüssten sie nicht vor was für einem Gebäude sie stehen und um was es geht. Als wüssten sie nicht, was sie in ein paar Augenblicken erwartet.
    Oder sie wollten es schlichtweg nicht wahrhaben. Wahrhaben, dass ihre Söhne, Brüder, Cousins, Lebensgefährten und Freunde wegen des Todes an Jonny vor einem Gericht verantwortlich gemacht werden.
    Es wurde gescherzt und gelacht. Ganz so, als ob sich in nur ein paar Minuten alles als ein ganz großes Missverständnis aufklärt und alle Angeklagten vom Vorwurf der Beteiligung an einer tödlich endenden Schlägerei freigesprochen würden.

    Seit der Wiederaufnahme des Verfahrens war ich an jedem Verhandlungstag anwesend. Der “prozessuale Hergang”, der für mich als Jurastudentin nicht uninteressant ist, rückte in meinem Bewusstsein jedoch zusehends in den Hintergrund. Vielmehr traute ich oftmals meinen Augen kaum, konnte sie teilweise nicht von den Angeklagten und deren “Verhalten” abwenden.
    Vor allem fiel mir immer wieder ein Angeklagter als fast schon “gelangweilt”, desinteressiert, als geistig abwesend auf.
    Ein demütigendes Gefühl – insbesondere für die vis -à- vis sitzende Schwester Tina und ihren, durch einen der Angeklagten in der Tatnacht erheblich verletzten, Lebensgefährten.

    Ganz häufig fragte ich mich ob dies alles wirklich stattfindet oder nur ein böser Traum sei. Die Situationen in sowie vor dem Gericht waren oft nur schwer erträglich.
    Und im Gerichtssaal waren sie darüber hinaus einfach nur beschämend- dies bedauerlicherweise wieder aufgrund der Angehörigen der sechs Angeklagten.
    Pietät, Taktgefühl, Empathie, Anteilnahme: einfach nur ein den Umständen angemessenes Benehmen war bei vielen nicht vorhanden. Nur wenige der Angehörigen zeigten nach außen ein respektvolles Verhalten.

    Stattdessen Witzeleien und Gekicher oder störende Unterhaltungen bei den meisten. Ermahnungen der Justizangestellten, da man nicht in der Lage ist sein Handy für eine Weile auszuschalten und in der Tasche zu behalten, waren ebenso an der Tagesordnung. Und leere Wasserflaschen aus dem Gerichtssaal wieder mitzunehmen- anscheinend ist dies zu viel verlangt.

    All das macht neben dem ohnehin schon traurigen Anlass des Prozesses zusätzlich wütend, fassunglos, zornig.
    Wie die Angehörigen auf solch ein Verhalten in der Zuhörerschaft reagieren würden wenn es im Prozess um den Tod eines ihrer Verwandten ginge möchte ich mir gar nicht vorstellen.

    Umso bewundernswerter ist es wie Jonnys Schwester Tina mit all dem umgeht- trotz riesiger Ohnmacht, trotz Wut, Trauer und Schmerz.

    Liebe Tina, ich wünsche dir zutiefst, dass du übermorgen kein Herz mehr auf deinen Handrücken wirst malen müssen.

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      mica
      Aug 15 2013, 12:25 PM Antworten

      So wie die sich dort benommen haben , benehemn die sich doch überall — das sehe ich täglich .

      Die haben vor nichts respekt und viel im Kopf haben die auch nicht 🙁

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    mica
    Aug 14 2013, 9:58 PM Antworten

    Ich befürchte , die kommen mal wieder davon – WIE IMMER !

    Man sieht doch das die das Wort Reue gar nicht kennen und NUll Mitgefühl oder Rechtsempfinden haben .

    Wann ändert sich was ?

    Deutsche werden von Ploizisten krankenhausreif geschlagen , und die Musels lachen sich einen weg .

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    Kevin
    Aug 15 2013, 5:42 AM Antworten

    Es darf echt nicht passieren dass die ohne weiteres davon kommen. Das darf es einfach nicht!

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      mica
      Aug 15 2013, 12:24 PM Antworten

      Das setzt immer dasselbe falsche Signal 🙁

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    Martin Augtus
    Aug 15 2013, 6:17 AM Antworten

    Viel Kraft beim Prozess!

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    Eva Angelist
    Aug 15 2013, 8:27 AM Antworten

    Du bist ein ganz besonderer Mensch Tina K., ich wünsche deiner Familie und dir viel Energie und Glück für die schwere Zeit die das Urteil euch aufzwingen wird.

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    mica
    Aug 15 2013, 12:23 PM Antworten

    Wenigstens keine Bewährungsstrafe für die Mörder !

    Aber 4 Jahre für Mord ??? Sowas gibt es nur hier 🙁

    Alles Gute !

    Stay strong !

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    Olivia
    Aug 15 2013, 2:23 PM Antworten

    Ich finde es grauenvoll, wie “Menschen” dort sitzen können ohne eine einzige Emotion z. B. Reue zu zeigen. Für mich ist das unverständlich. Was ist dort in der Erziehung schief gegangen, wenn es überhaupt eine Erziehung gab. Es werden doch eigentlich gewisse Werte vermittelt, zumindest mir wurden diese vermittelt.

    Anwälte die so etwas unterstützen und verteidigen haben für mich ebenfalls keine dieser Werte – sorry. Urteil zu hoch, laut Anwalt des Hauptangeklagten. Für mich ebenfalls nicht verständlich. Einem Jungen Mann so etwas anzutun ist die eine Sache, aber danach in den Verhandlungen noch solch ein Verhalten zu zeigen ist die andere. Und dann soll das Urteil zu hoch sein?! Ich sehe deren Lache schon vor mir, wie sie sich gegenseitig beglückwünschen und die Richter und alle anderen als dumm betiteln. Warum lernt Deutschland nicht aus solchen Fällen und greift mal härter durch. Die werden sich nie ändern.

    Ich wünsche Tina K. alle Kraft dieser Welt. Und klar, sich darüber aufzuregen bringt Jonny K. leider nicht wieder, aber wenn jeder mal seinen Frust äußert und gegen diese Gewalt und solch unmenschliches Verhalten ankämpf, haben wir vielleicht mal eine Chance, dass es solche Taten nicht mehr gibt.

    Ich finde diese Projekte einfach toll, denn diese Jungs, die so etwas tun, sollen endlich mal aufhören noch Stolz an solchen Taten zu haben. Denn Reue ist nicht vorhanden. Für sie sind das eher Trophäen, die sie sammeln wie Briefmarken…denn es passiert ihnen doch eh nichts.

    Ich bin froh, dass ich nicht dort sitzen muss, denn in mir kocht es schon, wenn ich nur davon im Radio höre oder es in der Zeitung lese.

    Ich wünsche Tina K. alle Kraft und sage nur: WEITER SO!

    Die Menschen müssen mal wachgerüttelt werden!

    Olivia (21. J)

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